Siegener Zeitung: Radfahren ganz „neu“ lernen

Folgender Artikel ist in der Siegener Zeitung sowie online erschienen:

Radfahren ganz „neu“ lernen

Zahl der Unfälle mit Pedelecs steigt

Autor: Tim Plachner

tip Neunkirchen. Kurt Schüler ist mit seinen 80 Jahren sicher schon einige tausend Kilometer Rad gefahren. 1987 hatte er sich ein hochwertiges Rennrad gekauft, das Modell hat ihn lange begleitet. Doch jetzt, im fortgeschrittenen Alter, musste ein E-Bike herbei. „Ich will damit nämlich auch ein bisschen im Wald fahren”, sagt der Gosenbacher. Aber die Pedelecs verhalten sich anders als die traditionellen Zweiräder. „Das Rennrad wiegt 9 Kilogramm, das E-Bike 24 Kilogramm. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied”, weiß Schüler. Und so konnte auch er am Freitag einiges am Verkehrsübungsplatz des MSC Freier Grund in Altenseelbach lernen.

Pedelec-Kurs für über 50-Jährige

Die Gemeinde Neunkirchen hatte zum Pedelec-Kurs für über 50-Jährige eingeladen. Zum wiederholten Mal, denn die Veranstaltungen sind beliebt. Am Freitag kamen zwölf Teilnehmer nach Altenseelbach. Holger Ippach von der Verkehrswacht Siegen-Wittgenstein hatte gleich zu Beginn einige Tipps für die Radfahrer. Klar, dass ein Helm wichtig ist, das wussten sie alle. „Aber man muss sich im Alter zum Beispiel auf längere Reaktionszeiten oder schlechteres Sehen und Hören einstellen”, so Ippach. Selbst ein einfacher Schulterblick könne bei begrenzter Mobilität des Körpers zu einer Herausforderung werden. Und bei den E-Bikes gelte es eben, besonders aufmerksam zu sein. „Das höhere Gewicht sorgt für längere Bremswege”, gab Ippach den Kursteilnehmern mit auf den Weg.
Zudem seien Auf- und Absteigen schwieriger. Das musste eine Teilnehmerin schmerzhaft am eigenen Leib erfahren: „Beim Anhalten ist es passiert. Ich konnte das Rad einfach nicht mehr halten und bin damit umgefallen”, erzählte sie der Runde.
Eine kurze Inspektion der mitgebrachten E-Bikes erledigte Julian Becker von Radsport Schneider aus Neunkirchen. Er kennt die beliebten Fehler im Umgang mit E-Bikes: „Die Griffe am Lenker sind zu 99 Prozent falsch eingestellt”, berichtete er aus seiner Erfahrung. „Die Finnen am Griffende müssen Richtung Arm zeigen. Dann ermüden die Hände weniger schnell.” Viele Teilnehmer hatten zu wenig Luft in ihren Reifen, einige eine falsche Haltung aufgrund zu hoher oder niedriger Sattel. Beckers Empfehlung: alles im Fachhandel messen und einstellen lassen. Und am besten einmal jährlich mit dem E-Bike zur Inspektion.

Zahlreiche Alleinunfälle mit Pedelecs

Nach der Theorie kam am Freitag dann die Praxis: Holger Ippach hatte am Rande des Verkehrsübungsplatzes einen kleinen Parcours eingerichtet. Vor allem scharfe Kurven und U-Turns wurden geübt, denn hier kommt es bei den schweren E-Bikes auf einen guten Gleichgewichtssinn an. „Vorausschauend fahren”, riet Ippach den Kursteilnehmern. „Und rechtzeitig schalten”, ergänzte Becker. „Eine Trittfrequenz von 60 oder 70 Umdrehungen pro Minute ist ideal.”
Immer wieder kommt es zu Alleinunfällen von E-Bike-Fahrern, oft im hohen Alter. Im Oktober 2018 war ein 82-Jähriger nach einem Sturz auf der Eisenstraße in der Nähe des Parkplatzes Ederquelle ums Leben gekommen. Der Mann war dort aus Richtung Lützel kommend in Richtung Siegquelle talwärts mit seinem E-Bike ins Schlingern geraten und gestürzt. Die Anzahl der verunglückten Pedelecfahrer steigt laut Verkehrsunfallstatistik der Polizeibehörde Siegen-Wittgenstein seit dem Jahr 2016 kontinuierlich an. Im vergangenen Jahr waren es bereits 40 Personen, die mit einem E-Bike verunglückten. Hierbei handelte es sich zu 80 Prozent um Alleinunfälle.

Autos das Überholen erleichtern

Kurt Schüler hatte nach rund vier Stunden Pedelec-Kurs am Freitag viel gelernt. „Zum Beispiel, dass man in Gruppen mit mehr als vier Fahrern am besten auch zum Teil nebeneinander fährt, damit es überholende Autos einfacher haben.” Und zum Handling seines E-Bikes hat er auch noch einen guten Tipp bekommen. „Beim Anfahren ein Pedal immer auf 2 Uhr – so holt man mit dem schweren Rad aus dem Stand am besten Schwung.”
Fahrradfahren verlernt man nicht, sagt der Volksmund. Aber dass man beim Umgang mit E-Bikes einiges eben doch neu lernen muss, da waren sich am Ende des Kurses alle Teilnehmer einig.

 

Die nachfolgenden Bilder wurden der Verkehrswacht durch Kay-Helge Hercher freundlicher Weise zur Verfügung gestellt:

 

 

Bildquellen

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert